Basel
Stadt Basel bei Nacht

Wie können wir die Räume in der Schweiz besser planen?

Was der Bund in seinem neuen Raumkonzept für das Land vorschlägt, gleicht einer mutlosen Fleissarbeit. Das ginge besser: Die Schweiz sollte grossräumiger denken, ihre Angst vor Verstädterung überwinden und klare Linien verfolgen. Dann entstehen auch klare Räume.

11.02.2025

Von Thomas Sevcik

Die Schweiz ist räumlich ein merkwürdiges Ding. Sie besteht aus einem zentralen Längstal, in dem fast alle wohnen und arbeiten; sowie aus einem ebenso raumbildenden Gebirgszug mit besiedelten Tälern inmitten leeren und wirtschaftlich nicht oder kaum nutzbaren Zonen. Dazu franst die Schweiz an einigen Stellen in benachbarte Grossräume wie Oberrhein / Burgundische Pforte, Savoyen, Lombardei oder Veltlin/Südtirol aus. Das ist die Ausgangslage.

Was macht man damit? Das neue «Raumkonzept Schweiz» des Bundes, welches nun in eine inoffizielle Vernehmlassung geschickt wird, möchte daraus einen Themenpark machen. Alles soll harmonisch sein: die Städte angenehm verdichtet mit 15-Minuten-Charakter, die ländlichen Gebiete und Zentren superschön, aber ausnahmslos nonstop gut angeschlossen. Tourismus und Landwirtschaft massiv gestärkt, aber die Landschaft geschont; die Wirtschaft stark, aber nicht störend. Aus der im Vorwort propagierten Vielfalt der Schweiz wird eher ein Einheitsbrei zwischen Moutier und Mendrisio.

Dabei ist die real existierende Schweiz in erster Linie ein sich an vielen Stellen schnell verstädternder, extrem dynamischer Raum mit vielen Brüchen, Fehlplanungen und politisch entstandenen Problemzonen. Die Schweiz ist vor allem eine Art «Zwischenstadt» – sowohl im Mittelland als auch in den zentralen Alpentälern. Zu gross und zu dicht, um noch dörflich-ländlich zu sein, zu ungeordnet, um schon städtisch oder grossstädtisch zu wirken.

«So tun, als sei alles kleinräumig und hübsch, ist ein falsches Bild der Schweiz.»

Doch Wörter wie «Agglomeration» oder «Zwischenstadt» kommen im neuen Raumkonzept kaum vor; die Angst vor dem V-Wort ist förmlich zu spüren: Verstädterung. Denn wir werden nicht umhinkommen, grosse Teile des bebauten Raumes zu verstädtern: Quartiersbildung, kleinräumliche Mobilitätsoptimierung und feingliedrige Infrastruktur, etwa bei Energie oder Bildung.

Das birgt Konflikte – nicht zuletzt bei der Innenverdichtung, aber auch bei etwaigen Erweiterungen der Stadtlandschaft Schweiz. Gibt es etwa doch Freiflächen, die für Wohnen, Entwicklung, Wohlstand geopfert werden müssen? Es wird sie geben; wir alle wissen es, doch niemand will darüber sprechen. Daher steht im Raumkonzept auch fast nichts über Flächenkonflikte oder unangenehme Nutzungen.

Die Schweiz von morgen wird auch grössere Spezialflächen haben; etwa für Verteidigung, Energie, Forschung oder andere Resilienzaufgaben.

So tun, als sei alles kleinräumig und hübsch, ist ein falsches Bild der Schweiz. Aviatikinfrastruktur wird bleiben oder gar ausgebaut (wir alle wollen immer mehr fliegen), viele Logistikflächen und noch mehr Datencenter werden benötigt, und Mobilitätsknotenpunkte werden neu entstehen. Dafür brauchen wir neue Regularien: vor allem mehr Möglichkeiten bei der Zonierung. Mehr Experimente, mehr Mix, mehr Ausnahmen.

Selbst Länder wie Singapur oder Deutschland beginnen, mit Zonentypen zu experimentieren. Wir hingegen behandeln unsere Industrie oder Gewerbe so wie vor hundert Jahren. Ideen dazu im neuen Raumkonzept? Fehlanzeige.

«Die Schweiz hat eine institutionelle Agoraphobie – eine Angst vor der Stadt.»

Eine der grössten Stärken der Schweiz ist gleichzeitig auch ihre grösste Schwäche: Unsere Kommunen haben die Planungshoheit. Doch aus Überforderung oder Angst vor dem Souverän möchten viele eigentlich nichts planen, denn Planung oder räumliche Leitbilder bergen immer auch Konflikte. Daher überlassen sie das Planen den Privaten, den Gerichten oder lauten Einflussgruppen.

Wollen wir also wirklich eine räumlich bessere Schweiz, so müssen einige Akteure einiges besser machen. Der Bund muss die Realität eines dynamischen Quasi-Stadtstaates im unübersichtlichen und unangenehmen 21. Jahrhundert verstehen und abbilden. Die Kantone müssen in realistischen Grossräumen denken und nicht vor Kantonsgrenzen haltmachen. Gemeinden müssen endlich selber Ideen, Narrative und Bilder erarbeiten, wie wir im gemischten Wohn- und Arbeitsgebiet, auch mit schwierigen Funktionen, zusammenleben wollen.

Übrigens: Sollte die Schweiz einwohnermässig stagnieren oder gar schrumpfen, so braucht sie viele dieser Flächen trotzdem, weil die Schweiz dann effizienter, nachhaltiger und resilienter sein muss, um den Wohlstand auch stagnierend oder schrumpfend zu sichern.

Das neue Raumkonzept zeigt, dass die Schweiz eine institutionelle Agoraphobie hat – die Angst vor der Stadt. Eigentlich merkwürdig für eine Willensnation, die grösstenteils aus selbstbewussten ehemaligen Stadtstaaten besteht. Doch die Schweiz von morgen wird ihre Agglomerationen verstädtern, ihre Planung und Zonierung massiv verbessern, einige Freiflächen trotzdem aufgeben sowie die Realität von grossen Mobilitäts-, Logistik-, Forschungs- und Verteidigungsflächen anerkennen müssen. Paradoxerweise werden wir dann auch wieder viele Frei- und Naturräume schützen können. Klare Linien und klare Kanten ergeben eben auch klare Grenzen – und klare Räume.

Thomas Sevcik
Thomas Sevcik

Thomas Sevcik, 55, ist Mitgründer von Arthesia, einer Firma, die strategische Narrative für Unternehmen, Städte, Staaten und für spezielle Situationen entwickelt. Sevcik ist überdies Miteigentümer der privaten Special-Situations-Investmentfirma Xanadu Alpha. Er ist Mitverfasser des «Urbanisitica»-Städtebaumanifests.

Dieser Text erschien zuerst in der «NZZ am Sonntag».