Jede Region hat eine eigene Bedürfnisse: Der Passwang-Pass im Solothurner Jura (Bild: Keystone SDA)
Jede Region hat eine eigene Bedürfnisse: Der Passwang-Pass im Solothurner Jura (Bild: Keystone SDA)

«Wir wollen nicht, dass die ganze Schweiz zu einer Stadt wird»

Das Raumkonzept soll helfen, die künftige Produktion von Energie und Nahrungsmitteln zu planen, sagt Maria Lezzi, die Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung. Ein weiteres wichtiges Ziel sei, die Vielfalt der Schweiz zu erhalten.

14.03.2023

Maria Lezzi, Was hat das Raumkonzept mit den Schweizerinnen und Schweizern zu tun?

Das Raumkonzept zeigt, wie die Schweiz in Zukunft aussehen soll. Wo die Menschen wohnen und arbeiten, welche Gebiete für die Erholung und welche für Ernährung zu erhalten sind. Und wo die grossen Verkehrs- und weiteren Infrastrukturen bestehen und ausgebaut werden - und das mit weniger Bodenverbrauch und über die Grenzen hinweg abgestimmt.

Das heutige Konzept wurde vor über zehn Jahren geschrieben. Sieht die Schweiz nun so aus, wie man sie damals geplant hat?

Es sind Entwicklungen in diese Richtung zu erkennen.

Welche?

Ich muss vorausschicken: Das Raumkonzept und seine Karten sind mit einem sehr dicken Stift gezeichnet worden. Es zeigt keine einzelnen Bauplätze oder Naturgebiete. Zudem sind zehn Jahre vergleichsweise kurz, um etwas sichtbar zu verändern. Aber wir sehen zum Beispiel, dass viel Kulturland noch vorhanden ist und nicht eingezont werden musste. Das Raumkonzept betont, wie wichtig es ist, Siedlungen gegen innen zu entwickeln und die Landschaft aufzuwerten. Geholfen hat dabei das Zweitwohnungsgesetz und das revidierte Raumplanungsgesetz. Eine weitere Strategie des Raumkonzepts ist die Zusammenarbeit in grossen Räumen. Wenn heute ein Tram über die Kantonsgrenzen oder die Landesgrenze verlängert wird, wie im Limmattal oder in Genf, dann sind das Zeichen für Planen und Handeln in funktionalen Räumen.

Maria Lezzi:
Portrait von Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung

Maria Lezzi ist Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) und Vorsteherin der Strategischen Leitung des Raumkonzepts Schweiz

Die Welt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Klimawandel, Energiekrise, Migration, Digitalisierung. Warum will man das Raumkonzept nur aktualisieren und macht einen neun grossen Wurf?

Weil wir davon ausgehen, dass vieles, was im Raumkonzept steht, immer noch aktuell ist. Eine langfristige Strategie wirft man nicht nach zehn Jahren über den Haufen. Das hätte grosse Unsicherheiten zur Folge. Wir werden neue Herausforderungen wie Klima und Energie aufgreifen und überlegen, wie unterschiedliche Regionen oder Landesteile davon betroffen sind oder wie sie es als Chance nutzen können. Davon leiten wir Strategien ab. Sollten wir feststellen, dass diese Strategien nicht ins bestehende Konzept passen, werden wir es grundlegender überarbeiten.

Wenn neue Themen ins bestehende Konzept passen müsse, gibt es da überhaupt Platz für neue, kühne Ideen?

Neue Ideen sind immer erwünscht. Das reicht aber nicht, sie müssen auch überzeugen. Der Bund macht das Raumkonzept nicht alleine, sondern zusammen mit den Kantonen, dem Städte- und dem Gemeindeverband. Ich messe also die Aktualisierung nicht daran, wie viele neue Ideen wir entwerfen, sondern daran, ob es die richtigen sind und ob wir sie konkretisieren und umsetzen können.

«Die Idee, es müsse überall in der Schweiz alles geben, gefährdet die Vielfalt und die Lebensqualität»

Die meisten Menschen in der Schweiz wohnen in städtischen Gebieten. Im heutigen Raumkonzept hat die Idee der Metropolitanregionen eine grosse Bedeutung. Die ländliche Schweiz hingegen ging vergessen.

Nein. Die Schweiz zeichnet sich durch eine Vielfalt von Räumen aus. Man spricht von sogenannten Handlungsräumen. Sie alle haben spezifische Funktionen und Besonderheiten. Das wollen wir stärken. Die Idee, es müsse überall in der Schweiz alles geben, gefährdet diese Vielfalt und die Lebensqualität. Grossstädtische geprägte Räume oder eben Metropolitanregionen sind die Motoren für die Wirtschaft der Schweiz. Aber das Raumkonzept will nicht, dass die ganze Schweiz zu einer Stadt wird.

Was ist denn die Funktion der ländlichen Schweiz?

Regionen wie der Jurabogen oder die Città Ticino bestehen aus Klein- und Mittelstädten, die im Verbund attraktiv sind, beispielsweise für Verkehrsinfrastrukturen, für Bildungsangebote oder für die Gesundheitsversorgung. Alpine Räume wiederum sind stark durch die Natur geprägt. Ihre regionalen Zentren sind als Wohn- und Gewerbestandort wichtig. Sie spielen eine grosse Rolle für die Entwicklung und Versorgung der umgebenden Dörfer und Siedlungen. In diesen Handlungsräumen finden sich auch Tourismusdestinationen von nationaler oder weltweiter Bedeutung.

Das Raumkonzept ist für niemanden verbindlich. Kann ein solches Dokument wirklich helfen, fundamentale Probleme wie die Energiekrise zu lösen?

Das Raumkonzept kann einen Beitrag zur Versorgungssicherheit der Schweiz leisten. Dies ist der Auftrag und den Ehrgeiz, den wir haben. Es bietet eine Orientierung über die räumliche Entwicklung der Schweiz und wie die verschiedenen Staatsebenen und Räume miteinanderzusammenarbeiten. Das Raumkonzept ist längerfristig angelegt. Wo soll in Zukunft unsere Energieproduktion und wo die Nahrungsmittelproduktion stattfinden? Wie verändert sich dies durch den Klimawandel? Und wie gehen wir damit um, dass wir zunehmend gegensätzliche Interessen haben und falls nötig, schnell auf Veränderungen reagieren müssen? Solche Diskussionen müssen wir führen und gemeinsam Antworten finden. In der Schweiz kann man nichts durchdrücken, wenn sich Kantone, Bund und Gemeinden nicht einig sind.

«Nicht in jeder Bergregion muss der Tourismus an erster Stelle stehen»

Raumplanung wird aber in den Kantonen gemacht. Wie stellt man sicher, dass sie nach dem Raumkonzept handeln?

Erstens arbeiten die Kantone am Raumkonzept mit. Es ist nicht der Bund, der den anderen sagt, wie er die räumliche Entwicklung in der Schweiz gerne hätte. Die Kantone, Städte und Gemeinden sind gleichberechtigte Partner. Überzeugt das gemeinsame Produkt wird es konkretisiert und angewendet. Zweitens verlangt das revidierte Raumplanungsgesetz, dass jeder Kanton ein Gesamtbild seiner zukünftigen Entwicklung erstellt. Das verankert er in seinem Richtplan. Der Bund prüft und genehmigt diese Anpassungen. Dabei geht es auch um die Positionierung des Kantons innerhalb der Schweiz und um die die Beziehungen zu Nachbarkantonen und -ländern, das heisst um die Berücksichtigung des Raumkonzepts Schweiz. Selbstverständlich darf ein Kanton davon abweichen, wenn es den Grund dafür nachvollziehbar darlegt.

Die Bevölkerung wächst, man braucht Platz für neue Energieanlagen. Die Verteilkämpfe um den Raum werden grösser werden.

Der Druck auf die knappe Ressource Boden hat zugenommen, das ist unbestritten. Das Raumkonzept soll helfen, die verschiedenen Interessen zu gewichten. Zum Beispiel muss nicht in jeder Bergregion der Tourismus an erster Stelle stehen. Ein anderes Beispiel: Die produzierende Wirtschaft wird aus zentralen Lagen verdrängt. Trotzdem wollen wir schnell versorgt sein. Dafür brauchen wir eine Lösung. Ich habe am Anfang über die Spezialisierung der Räume gesprochen. Für die Aktualisierung erhoffe ich mir, dass wir uns ebenso ernsthaft und kreativ mit der Frage auseinandersetzen: Was hält die Schweiz zusammen?

Was hält für Sie die Schweiz zusammen?

Unser politisches System, das verlangt, dass wir über alle drei Staatsebenen gemeinsam Lösungen aushandeln. Das heisst: entwerfen, verwerfen und entscheiden. So haben wir es seinerzeit beim Raumkonzept gemacht, und so machen wir es bei seiner Aktualisierung.

Maria Lezzi: Meine Schweiz der Zukunft

Eine attraktive Schweiz ist für mich eine Schweiz, in der man in einer Viertelstunde im Grünen ist, die aber auch wirtschaftlich stark ist. Eine solche Schweiz verändert sich immer wieder und ist vor allem fit für Veränderungen durch die Klimaerwärmung. Sie muss also auch in 20 Jahren noch ein Ort sein, an dem wir es aushalten können. Mehr noch, ein Ort, wo wir uns wohlfühlen und wofür wir uns engagieren. Die Schweiz der Zukunft muss zudem den grössten Teil der Energie, die sie verbraucht auch selber produzieren. Und sie darf nicht überall gleich aussehen. Eine solche Schweiz arbeitet über die Kantons- und Landesgrenzen hinweg zusammen. Ich selbst wohne im Kanton Baselland, das ist der Handlungsraum Nordwestschweiz. Ich überquere die Gemeinde- und Kantonsgrenze mehrmals pro Tag und merke es gar nicht. Und so geht es vielen Schweizerinnen und Schweizern.